Stefan Laurer, Sozialarbeiter seit dem 01.10.1992 beim Diakonischen Werk, der Berliner Stadtmission und seit 2018 im Kooperationsprojekt Housing First Berlin gemeinsam mit der Neuen Chance gGmbH.
Alle Dinge auf dieser Welt haben einen Anfang und ein Ende.
Mein Arbeitsleben als Sozialarbeiter begann 1992 im „Wohnprojekt Levetzowstraße“, einem zuwendungsfinanzierten Betreuten Wohnen mit zwei Büroräumen innerhalb der Beratungsstelle für wohnungslose Menschen in der Levetzowstr. 12a.
Durch die pauschale Finanzierung waren wir damals am Housing First Konzept sehr nahe dran. Wir konnten unabhängig von schnellen Hilfeplanerfolgen eine unbefristete Unterstützung anbieten und somit Menschen aufnehmen, die über lange Jahre mit einer chronischen Suchterkrankung und vielen anderen Problemen auf der Straße lebten. Die Wohnraumversorgung erfolgte zunächst über einen Untermietvertrag in einer Trägerwohnung, die nach ca. 1 Jahr positivem Verlauf in einen unbefristeten Hauptmietvertrag umgewandelt wurde. Aus heutiger Sicht war das also eine Art „Housing second“. Die Wohnstabilität war sehr hoch, Erfolge in weiteren Lebensbereichen stellten sich oft erst nach mehreren Jahren Beziehungsaufbau und Motivation ein. Mit der Umstellung der Finanzierung auf individuelle Entgelte stieg der Erfolgsdruck, wurden die Angebote hochschwelliger und damit änderte sich die Zielgruppe.
Housing First Berlin begann am 01.10.2018 als dreijähriges Modellprojekt nach dem Vorbild des amerikanischen Konzepts von Sam Tsemberis. Der Anspruch dieser Hilfe geht weit über die Angebote des bisherigen Hilfesystems hinaus und fängt langjährig wohnungslose Menschen auf, die aus unterschiedlichsten Gründen in anderen Einrichtungen nicht andocken konnten. Für mich war das so eine Art von „back to the roots“ in dem Sinne, dass wir nun wieder unbürokratisch und niedrigschwellig genau das anbieten können, was unsere Projektteilnehmenden wünschen und brauchen. Und der erste Schritt dabei ist die (fast) bedingungslose, unbefristete, richtige Wohnraumversorgung in der eigenen Wohnung, unabhängig von Betreuungsangeboten. Eine dreijährige Evaluation durch Susanne Gerull, Professorin an der Alice-Salomon-Hochschule, Berlin, bestätigte den Erfolg des Modellprojekts und ebnete den Weg zur Etablierung von Housing First Berlin im Regelhilfesystem.
Wie schön, dass ich von Anfang an bei der Aufbauphase und Entwicklung dieses Projekts dabei sein durfte.
Mein Arbeitsleben geht am 01.10.2024 nach 32 Jahren zunächst mit einer Vorruhestandsregelung zu Ende. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehe ich dem entgegen. Zum einen freue ich mich natürlich auf den neuen Lebensabschnitt, zum anderen werde ich meine Klient:innen, zu denen teilweise eine langjährige Beziehung entstanden ist, genauso vermissen, wie unser tolles, interdisziplinäres Team. Alle schwierigen Situationen konnten dort besprochen werden, immer wurde man vom Team gut aufgefangen.
Housing First Berlin bleibt bestehen. Und ich wünsche, dass es sich in Zukunft weiter so positiv entwickelt und wächst, wie das bisher der Fall war und wie es die aktuelle Situation der wohnungslosen Menschen in Berlin erfordert. Über ein Ende von Housing First können wir erst nachdenken, wenn die Wohnungslosigkeit in Berlin, in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt dauerhaft und nachhaltig beendet ist.